DIE UNGELIEBTEN

(Diptychon: I)

 
 

DER MENSCH IST: KOLLISION

Es ist uns geglückt. Wir sind unter uns! In unseren Gesichtern steht der Hass nicht länger geschrieben. Was bleibt uns? Bleibt das Lieben? Alles haben wir ausgeglichen; alles, was wir fremd einst hießen, ist verblichen, endlich sind wir uns gleich. Doch unter uns… Die Ungeliebten ist eine Schau nach vorn, ein dramatischer Spaß, eine Farce.

 
 
  • Uraufführung
    27. Mai 2016
    die bühne Dresden

  • Text und Regie
    Olav Amende

  • Es spielen
    Maria Hänsel
    Katerina Horáková
    Amina Widmaier
    Anna Zerbe
    Max Böttcher
    Markus Forbrig
    Yannic Köhler

  • Dramaturgie
    Matthias Spaniel

  • Fotos
    Clemens Mart

  • Video
    Markus Forbrig


Seine ‘Ungeliebten’ sind eine dynamische Performance. [...] Auch bei der Studentenbühne ist die Diskrepanz zwischen Aufmerksamkeit während und Beifallsstürmen nach der Vorstellungen [sic!] beim Publikum ziemlich groß. Das Phänomen kennt man sonst nur von großen Bühnen und Premieren.
— (Dresdner Neueste Nachrichten)
 
 
 

DIE UNGELIEBTEN

oder:

DIE LUST AN DER DYSTOPIE

— Ein Blick zurück —

Es ist uns geglückt. Es ist uns also wirklich und wahrhaft geglückt: Wir sind unter uns. Das Verhasste, das Fremde, das Andere haben wir überwunden und was bleibt, ist... Es ist lang her. Wir sind die Letzten, mit denen das Ende beginnt. In unserer Schau schießen wir einen Vektor in eine neue, in eine klare, eisklare Zeit... Dies ist der Punkt, aus dem sich die Geschichte uns eröffnet.

Die Ungeliebten ist eine dramatische Schau in eine mögliche Zukunft. Sie beginnt mit dem Ideal. Was folgte diesem? Wäre es das utopische Glück oder das dystopische Dilemma? Blickten wir tief in uns; bejahten wir dann das Eine, verneinten wir das Andere?

Die Ungeliebten stehen vor einem Dilemma. An dem, was sie harmonisierten, erkranken sie. Das Tabu, das ihnen bleibt, ist die Langeweile. Längst ist ihnen eine Dynamik eigen, wonach das Weilen zu verneinen ist. Hielten sie inne, zögerten sie auch nur, wankten sie, so gefährdeten sie - - ja was?... Ihr Feind ist das Schweigen.

Was bleibt, ist die einzige Sicht: Wir müssen vorwärts! Und das übrigens: Koste es, was es wolle!

Die Idee der Ungeliebten ist eine Erhöhung. Wir erkennen sie in dem Willen zum Positiven, zum Absoluten, zum Perfekten. Nicht allein Filippo Marinetti, die poetische Speerspitze des Futurismus, hatte sich ihm in den Dienst gestellt und das, wohin sein Wollen mündete, beschränkt sich weder auf seine Zeit, noch auf den Raum, auf den wir heute blicken und der sich weitet...

Das „Koste es, was es wolle!“ oder das „Koste es: nichts!“ ist die Überheblichkeit, ist die Hybris. Einst zeigte sie sich in aggressiver Erhitzung zweier Weltkriege. Heute spiegelt sie sich wieder in manischer, eiskalter Berechnung, in der digitalen Schlacht, in ästhetischer Glätte. Das Volks-Handy könnte ihr Sinnbild sein. Überheblich ist es, „die Anderen“ von uns zu scheiden und: sie für uns zu nutzen. Es ist nicht lange her, als wir die Erträge nutzten, die uns das Sklavenschiff brachte.

Sein allzu zeitgemäßes Spiegelbild ist die Textilfabrik, deren Existenz erst dann in unser Bewusstsein rückt, wenn sie brennt oder wenn der Nachschub einer Kollektion ausbliebe. Die Überheblichkeit offenbart sich als obszöner Zynismus, der etwa in der Empörung darüber liegt, dass sie, die Ausgeladenen, mit Smartphones im Gepäck zu uns kommen, obwohl gerade wir es waren, (Sofern wir es uns gönnen, im „Wir!“ zu sprechen, müssen wir es ihnen gönnen, uns so zu adressieren), die ihre Heimat plünderten, um eben jene Smartphones produzieren zu können – koste es, was es wolle: nichts!

Es ist ein Selbstverständnis, das weiter noch, als in die immer noch tabuisierte Zeit deutscher Kolonisation reicht. „Die Kälte tötet mich!“

Dieses Selbstverständnis entspringt dem linguistischen Akt des definitiven Definierens, dem Willen, zu unterscheiden. Für die Ungeliebten ist das die sterile Kraft, die entscheidende Waffe. Und juckte es ihnen auch; physisch haben sie die Schlacht nicht mehr auszutragen. Ihnen genügt das Wort.

Die Vielen, die ihnen die Ungeliebten waren, stecken im Eis. Sie selbst stehen auf dem gefrorenem Mittelmeer, in dem jene einst ertranken. Die Sieben, die letzten Menschen, zucken mit den Schultern und träumen von fernen Zeiten, von der Weite. Doch was sich um sie weitet, ist das Nichts...

Das Szenario der Ungeliebten ist ein denkbar dystopisches. Es mündet in eine Frage: Können wir nicht anders? Ist uns die Dystopie greifbarer als die Utopie? Das Stück selbst reiht sich ein in die Überzahl der negativen Fiktionen. Es ist absurd und: eine Farce. Das Absurde ist das künstliche Ideal und die Künstlichkeit dieses Ideals bildet zugleich die Farce: Ein solches Ideal, verwirklicht durch Unterdrückung, kann nur künstlich, letztlich erlogen sein. Es hat keinen Bestand. Im absoluten Willen zum „Ja!“ bricht sich das „Nein...“ Bahn. Das Komische ist: Sie, die Sieben, die im eigentlichen Sinne Ungeliebten, wollen es! Es juckt ihnen. Mit ihren Stangen hauen sie auf das Eis ein, bis es bricht und die Ungeliebten wieder unter ihnen sind.