DAS VERSPRECHEN


 
 

An einem späten Nachmittag im Dezember findet sich eine Familie zusammen. Beinahe vollständig ist diese Familie, nur einer fehlt: Viktor. Lange war Viktor krank, doch das wird morgen vergangen sein, denn der Arzt hat der Familie ja versprochen: Morgen wird Ihr Viktor aus der Klinik entlassen und gesund sein. Oder hat er sich versprochen und in Wahrheit gesagt: Morgen wird Ihr Viktor…?

Ihnen, zu ehrendes Publikum, sei an dieser Stelle die Auflösung dieser Frage versprochen, denn sie bleibt der Familie ein Spaß… Doch zunächst (und: wie dem auch sei): Prosit! Es nütze!

Das Versprechen ist ein komisches Familiendrama: Die junge kranke Generation trifft auf die alte gesunde. Es gilt, unsere ungewisse, stets vom Zerfall bedrohte Zeit zu erhalten und geschähe dies allein durch die Wiederholung der uns allzu bekannten guten alten Zeit. Im Versprechen wuchert das Zusammenspiel von Zerfall und Wiederholung auf irgendwie absurde Weise.

 
Die szenische Anordnung der Schauspieler ist mutig. Nehmen sie zu Beginn des Stückes alle Platz am Tisch, gibt es nur selten Gelegenheit, aufzustehen und tatsächlich etwas zu tun. Solch eine Form des Sprechtheaters ist in der freien Szene eher selten anzutreffen. Hier zählt einzig die Stärke der Schauspieler, die keine Chance haben, einmal nach hinten zu treten. Jederzeit sind sie präsent. Und die Kalkulation geht auf [...]
— Leipzig Almanach
Die Inszenierung […] brilliert mit kurioser Tiefsinnigkeit, die so manchem Zuschauer ein nervöses Lachen entlockt. […] Am Ende folgt tosender Applaus für Amende und seine Schauspieler-Crew.
— Leipziger Volkszeitung
 
 
  • Uraufführung
    05. März 2015
    Cammerspiele Leipzig

  • Text & Regie
    Olav Amende

  • Co-Regie
    Monique Heße

  • Es spielen
    Annika Gerber
    Ina Isringhaus
    Sandra Müller
    Tim Josefski
    Georg Herberger
    Roman Pauls

  • Licht
    Miriam Vohla

  • Ton
    Martin Basman

  • Fotos
    Florian Rosier

 

Die Familie zündet ihre Zigaretten an und raucht fortan.

ALFRED — Unfassbar, nicht? So, wie dieser Rauch schwindet, so… 

OSWALD — … vergeht die Zeit und…

FELIX — … so Vieles haben wir vor uns liegen…

MARIE — … doch kommen dem…

HELENE — … nicht hinterher,…

ALFRED — … denn…

OSWALD — … es liegt ja nicht…

FELIX — … hinter uns, in Wahrheit, sondern…

MARIE — … vor uns, sozusagen…

HELENE — … zum Greifen nahe,…

ALFRED — … vor unseren Augen,…

OSWALD — … wie eine Spur im Schnee…

FELIX — … oder im schwarzen Wüstensand, 

MARIE — … die der Wind…

HELENE — … verweht und…

ALFRED — … den Wind,…

OSWALD — … den Hauch -…

FELIX (den Zeigefinger hebend) — … die Inder nennen ihn Agni,…

MARIE — … den Sitz des Lebens, denn…

HELENE — … „für die Götter gilt:…

ALFRED — … Die Stimme ist Agni,…

OSWALD — … das Auge ist die Sonne,…

FELIX — … der Geist ist der Mond,…

MARIE — … das Ohr sind die Weltgegenden,…

HELENE — … der Hauch ist der Wind,…

ALLE — … der da weht.“-

Schweigen

ALFRED — … den Wind,…

OSWALD — … den Hauch,…

FELIX (den Zeigefinger hebend) — … Agni,…

MARIE — … sieht man…

HELENE — … nicht!

Schweigen

ALLE — Nicht sichtbar ist der Sitz des Lebens, nicht greifbar und ganze ohne Richtung, ganz ohne Weg, einzig ein Chaos ist der Sitz des Lebens,…

ALFRED — … ist Agni,…

OSWALD — … ist der Hauch,…

FELIX — … ist der Wind,…

MARIE — … der die Spur vor uns…

HELENE — … im Schnee…

ALFRED — … oder im schwarzen Wüstensand,…

OSWALD — … das, was vor unseren Augen,…

FELIX — … sozusagen zum Greifen nahe,…

MARIE — … vor uns liegt…

HELENE — … verweht.

ALFRED — Und eines Tages -…

OSWALD — … allein stehen wir…

FELIX — … in der Weite des Feldes -…

MARIE — … da schwillt er an…

HELENE — … zu einem Sturm und…

ALLE — … mit Gewalt… 

ALLE — … reißt er uns… 

ALLE — … um!

Die Familie, die sich ja längst schon feierlichst erhoben hat, lässt sich fallen.