Im Dämmer

 

Im Dämmer, produziert während der »Wendepunkte« — ein Projekt von ellaH e. V. — wurde während der ersten Kurzfilmwanderung 2014 auf Leipziger Häuserwände projiziert.

 

Im Dämmer

Rot ist Dein Haar, weiß ist mein Haar, ich sehe nicht mehr klar – seit Jahren ohne Alters. Damit begann meine Jugend.

Erst wenn die Haut zerfaltet ist, erst wenn der Spiegel blind geworden, manches weiße Blatt zerknittert aus den Ecken geholt, vom Wind aus den Ecken geweht ist, meine ich, erkennen wir die Worte, die wir sprachen, sind wir über Brücken gegangen, die uns zu den Tief-Ebenen führen. Sie liegen hinter den Worten. Dort steigt der Tau aus den Gräsern, dort verschwimmen in Tausend Tropfen die Bilder unseres Erinnerns. Mein Haar ist schwarz, Dein Haar ist rot; wenn es und es entweißt sein wird, sehen wir uns an diesem Ort. Ich weiß, Du warst vor Zeiten mit mir; das ward Ihr Alle, die Ihr mir begegnet seid und die wir uns noch treffen werden – vor Zeiten, als ich all-ein sein durfte und mich entschloss, in den Dämmer zu steigen. Das war mein größtes Glück.

Der Gang unter den Kronen der Bäume, der Gang in den Nebel, der Schwan auf dem Weiher. Der Spiegel des weißen Gefieders, der zitterte. Seither sehe ich Vieles verschwommen, seither schwimme ich dazwischen, in alten Klängen, die nicht vergehen, in Worten, die ich noch längst nicht sprach. Ich nenne Kreuze, doch zeichne Kreise, ich löse mich von all den Zahlen und schreibe. Die Bilder verschwimmen in den Rahmen, das Glas wandelt sich in Wasser und der Fluss durchzieht die große Stadt als ein Vergehen. Die Luft, sie wellt den Weiher, auf dem im Dämmer die Schwäne weilen. Der Herbst ist da, der Sturm ist nah, die Dämmer eilen mir entgegen und auf den Stufen sitzt eine graue Katze, im Dämmer. In ihren Augen spiegeln sich zwei Kinder – da bist auch Du... Der Sturm ist nah – er trägt sie ab, die Dächer, er rundet den gläsernen Kubus, in dem sie noch immer totgeborne Zahlen sprechen. Den Kubus hatt ich in die Hand genommen, ihn gestern vom Dach zu Erden sinken lassen – das ergab den Riss in meinem Raum und Du warst da und sahst mich lachen (das Wasser löste den Spiegelsplitter aus meinen Augen, dacht ich schon...). Seit ich im Dämmer stand – der Dampf auf dem Spiegel des Sees, der Dampf auf dem Fluss, in den ich die Flasche warf mit Deinem Namen, höre ich diese Lieder und fülle Hallen mit weißbeschriebnen Blättern. Ich werde die Fenster öffnen und in den Nebel steigen. Eine schwarze Kontur wird verschwinden. Das ist mein Verlöschen – schwarze Tinte gelöst vom Regen. Und der Winterwind wird die Blätter heben, vom schwarzen Granit der Hallen die weißen Blätter heben und verwehen. So ist im Kreis Alles Eins. Im Dämmer sinkt Robert von der Brücke, im Dämmer steigt er in die Luft. Ich blicke hinaus, ich wandere in die Tiefe meiner Felder und finde immer seltener die Kanten, doch entdeck ich das Enteckte. Immer seltener sehe ich das, was klar wir nennen, im Eifer des Sommers noch. Doch der Herbst schleift längst schon am gläsernen Kubus (Der Kubus – das ist die Macht; die ist Dreies: der Staat, die Bank, das genannte Wissen – doch dies nur im Leisen; es ist nichtig ohnehin...), auf dem Weiher ruht vor Zeiten der weiße Schwan, allein. Auf den Stufen ruht zwischen Schwarz und Weiß die Katze und sie erblickt zwei Kinder, die sich an den Händen halten. Und Du bist da und ich bin da, am letzten Tag des Sommers, gelöst im Dämmer...

(IIIXXIII)