19.06.2014

Oktober 2014

Erschienen in der Anthologie EINGANG NEXUS zu zwei Leseabenden in der Alten Handelsschule, 4. und 19. Oktober 2014, veranstaltet von Mathias Antonio Herrmann und Olav Amende.


Am Kottbusser Tor treibt sich ein halbnackter Mann mit langem schwarzem Haar herum. Vielleicht ist er Spanier. In jedem Fall ist es Jesus. Jesus hebt von den weggeworfenen Rosen eine auf, eilt zu einem Polizeibus, der gerade anfährt, und wirft die Rose ins Fahrerhaus. Die Rose fliegt heraus. Jesus nimmt sie und wirft sie wieder in den Bus. Da hält der Bus und hinten steigen zwei Polizisten, steigen drei Polizisten, steigen insgesamt sechs Polizisten aus und stellen und umstellen den lächelnden Jesus. Natürlich lächeln sie nicht und drohen ihm die Mitnahme an und natürlich fordern sie ihn auf, die Rose von der Straße und den ganzen Dreck wegzuräumen. Jesus lächelt schelmisch, aber auch etwas traurig. 

Eine halbe Stunde später tobt er. Er schimpft und brüllt und betrinkt sich. Eine Streife hält. Nur ein Polizist steigt aus. Der packt Jesus am Nacken, dass ihm das Bier auf die Straße knallt und schafft ihn ins Auto. Jesus blickt seiner Kreuzigung entgegen und der entspricht nicht die Festnahme. Sie werden ihn ja wieder laufen lassen. Ihr entspricht etwas anderes, das auf eine gemeine, allgemeine Art und Weise entzaubert. „Zurück ins Glied!“ Bis der Spanier wieder den Mut entwickeln wird, erneut das Hemd abzustreifen und sich erneut Jesus zu heißen, wird eine Zeit vergehen. Aber sie wird kommen. Jesus wird auferstehen.